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BERLIN/ Komische Oper: EIN SOMMERNACHTSTRAUM von Benjamin Britten

21.09.2013

Berlin/ Komische Oper: „EIN SOMMMERNACHTSTRAUM“, 21.09.2013

Von: Ursula Wiegand

Beim Herbstbeginn das Publikum mit Shakespeares Hilfe in eine sommerliche Traumwelt zu versetzen – das ist keine schlechte Idee, und genau so startet die Komische Oper Berlin in die neue Saison. Ich erlebe die zweite Vorstellung.

Allerdings hängt nach der echt zauberhaften „Zauberflöte“, dem märchenhaften „Orpheus“ und dem großartigen „Ball im Savoy“ die Messlatte hoch. Kann der lettische Regisseur Viestur Kairish nun einen weiteren Renner liefern?

Eigentlich müsste Shakespeares skurriler Sommernachtstraum, vertont vom Geburtstagskind Benjamin Britten, dafür die ideale Vorlage sein. Doch die unterschiedlichen realen und geträumten Ebenen miteinander zu verbinden, Derbheit und Zartheit in der Waage zu halten, ist keine leichte Übung.

Viestur Kairish hat darüber nach eigenen Worten viel nachgedacht und fügt eine weitere Ebene ein: das Spiel mit dem Alter. Der engelsgleich singende Knabenchor, einstudiert von Dagmar Fiebach, trägt Runzelgesichter und weiße Perücken. Die künstlich gealterten Jungs haben so zusagen schon vieles erlebt. Dagegen turnt der stets zu üblen Streichen aufgelegte Puck (Gundars Āboliņš in einer Sprechrolle) hurtig in kurzen Hosen wie ein Schüler über die mit Hügeln und Höhlen ausgestattete Pappmaschee-Landschaft (Bühne und Kostüme: Ieva Jurjāne).

Anfangs tummeln sich hier Menschen mit großen Plüschteddys, herzen sie und reißen ihnen schließlich Ärmchen und Beinchen aus. Schluss mit der Kindheit, soll das wohl heißen. Nun geht’s um die Irrungen und Wirrungen des Erwachsenseins, zunächst bekanntlich aber um ein indisches Baby, das zum Zankobjekt zwischen dem Elfenkönig Oberon und seiner Gattin Titania wird.

Den Oberon gibt im eleganten Silber-Look David DQ Lee mit silbrig schimmerndem, aber recht schmächtigem Countertenor. Nicole Chevalier, ebenso elegant, überzeugt mit gelungenen Koloraturen und Schauspielkunst. Letzteres ist stets ein Markenzeichen der Komischen Oper.

Mit Verve und herrlich übertriebener Leidenschaft werfen sich die beiden Liebespaare Hermia (Annelie Sophie Müller) plus Lysander (Tansel Akzeybek) sowie ihre Schwester Helena (Adela Zaharia) plus Demetrius (Günter Papendell) ins Geschehen. Hermia als die heiß Begehrte, Helena als die Verschmähte.

Die Zaubertropfen, die alsbald die Gefühle verwirren, trägt Puck als rotes Herz in den Händen und lässt aus dem das Blut tropfen. Das schnelle Vergessen aller Treueschwüre ist also nicht mit irgendwelchen Geheimrezepturen (wie bei Wagners Siegfried) zu entschuldigen, sondern entspringt dem eigenen Herzen. Eine treffend realistische Deutung.

Heftig herausgespielt wird die ohnehin ergiebige Eselszene. Hier die schöne Titania, die sich völlig vergisst, selbst wenn der Partner ein haariger Esel ist, allerdings einer mit einem fast meterlangen Baumel-Gemächt. Offenbar geheime Sex-Sehnsüchte von Männern und Frauen. Die Lachsalven dazu liefert das weibliche Publikum!

In einem Haufen Bettfedern kommen die beiden schließlich zur Sache, was so genau dann doch nicht gezeigt wird. Aber schon jetzt wird der Rheinländer Stefan Sevenich, ausgestattet mit kräftigem Bass, zum prollig-drolligen Star des Abends.

Derweil irren die beiden verzauberten jungen Paare durch den nebligen Wald, brechen nah beieinander vor Erschöpfung zusammen und warten das Morgenlicht ab. Auch das Publikum scheint nach diesen rd. 1 ½ Stunden (und das ist eine stark gekürzte Fassung) etwas erschöpft zu sein. In der Pause suchen einige das Weite.

Oder liegt es an der für manche Ohren ungewohnten Musik von Benjamin Britten? Die aber präsentiert Kristiina Poska, die junge Kapellmeisterin der Komischen Oper, zusammen mit dem Orchester des Hauses aufs Beste. Sie lässt die Noten flirren, lässt Brittens Purcell-Zitate heraushören oder, je nach Szene, auch mal auftrumpfen. So bleibt durch die Musik indirekt etwas von Shakespeares Poesie erahnbar, was in der recht simplen Übersetzung durch A.W. Schlegel und der Bearbeitung Walter Felsensteins weitgehend verloren gegangen ist.

Doch wer zu früh geht, den bestraft das Opernleben. Im 3. Akt erstaunt zuerst eine besondere Wendung: die am Morgen erwachenden Paare sind alte, kränkliche Leute. Schluss mit den einstigen Sehnsuchts- und Angstträumen. Inzwischen haben sich alle arrangiert und kriechen mürrisch gemeinsam in eine Höhle. Oder in die alltägliche Hölle?

Bald darauf verwandeln sich die vier aber wieder in rangelnde junge Leute mit frischem Sommerlaub an der Kleidung. Die Männer wollen einander töten, und wie zwei wilde Katzen gehen nach kurzer Umarmung die Schwestern Hermia und Helena aufeinander los. Überzeugend herausgespielte Szenen, von Britten bewusst mit Anleihen bei Wagner und Donizetti untermalt.

Knallig agiert nun die Handwerker-Theatertruppe, bestehend aus Zettel (Stefan Sevenich), Peter Sequenz (Jens Larsen), Flaut (Peter Renz), Schnock (Hans-Martin Nau), Schnauz (Máté Gál) und Schlucker (Bernhard Hansky). Anlässlich der Hochzeit des Fürstenpaares Theseus und Hippolyta (Alexey Antonov und Christiane Oertel) bieten sie die vorher kaum geprobte Sage von Pyramus und Thisbe.

Alle chargieren, dass sich die Bühnenbretter biegen und singen mit voller Kehle. Stefan Sevenich als Hauptdarsteller im kurzen antiken Flattergewand (er ist auch Dozent für szenische Gestaltung), das nur knapp seine Blöße bedeckt, wirbelt überall und nirgends. Gekonnt setzt er dabei seinen klangvollen Bass ein und legt noch eine schwungvolle, sofort mit Bravos bedachte Pirouette aufs Parkett.

Urkomisch auch Peter Renz (der Amor in „Orpheus“) mit Weißhaarperücke als Thisbe. Alle geben ihrem Affen reichlich Zucker. Theater auf dem Theater, ein altbekannter Kunstgriff, hier jedoch mit nachdenkenswerten Regie-Einfällen.

Anschließend werden die beiden streitsüchtigen jungen Paare von Theseus getraut. Also ein fröhlicher Kehraus? Wie man’s nimmt. Wahrscheinlich ist nun jede und jeder mit dem falschen Partner verheiratet. Bis dass der Tod euch scheidet, und der wartet auch schon im Hintergrund.

Kräftiger Beifall ist der Lohn für alle Beteiligten. Beim Erscheinen der jungen Dirigentin wird er besonders herzlich. Erneute Bravos erhält Stefan Sevenich. Er hat sie verdient.

Quelle: www.der-neue-merker.eu


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