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MAINZ/ Staatstheater: MACBETH. Wiederaufnahme

22.09.2013

MAINZ / Staatstheater: MACBETH am 22.9. 2013

Von: Werner Häußner

Idyllisch wirkt es, das Feld mit den gelben Sonnenblumen, vor dem es sich ein Soldat im Campingstuhl gemütlich macht. Aber wer beim Militär war, kennt die Tücken solcher landwirtschaftlicher Anlagen: Im Sichtschutz der fast mannshohen Blüten kann sich der Feind unbemerkt anschleichen. Auch im Mainzer „Macbeth“, in der Regie Tatjana Gürbacas, schiebt sich der Feind durch die Blumen: Eine dunkel-unheimliche Erscheinung kommt auf Macbeth zu. Erleichterung: Es ist Kollege Banco – gefolgt von Gestalten in Stahlhelm und Soldatenmänteln. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Die gelben Blumen im Bühnenbild Stefan Heynes werden uns den Abend über nicht verlassen. Umflort von ihnen liest Lady Macbeth den verhängnisvollen Brief ihres Mannes, der die Mordgedanken weckt. Wenn sie die „ministri infernali“ beschwört, säbelt sie die Blüten ab, wie sie später Menschenköpfe fallen lassen wird. Die Mörder Bancos brechen durch das Feld, trampeln die Blumen nieder. Später wird sich Macbeth mittendrin die Kehle selbst durchschneiden: Letzter resignierender Akt eines Menschen, der erkannt hat, dass er den von ihm entfesselten Schicksalsmächten nichts mehr entgegenzusetzen hat. Täter und Opfer zugleich. Auch die neue Zeit beginnt bei Tatjana Gürbaca blutig: Malcolm wird König – und als seine erste Tat räumt er den siegreichen Macduff aus dem Weg.

Dass es selbst in der bewegenden Szene, in der die exilierten Schotten klagen und Macduff den Tod seiner Familie beweint, nicht um Menschlichkeit geht, zieht Gürbaca keinen Moment in Zweifel. Macduff mit einem Stofftier eines seiner Kinder, ein Mann, der wie ein Hund leidet: Das ist nur Stoff für die Medien, Objekt vor Kamera und Mikro, voyeuristisch in Großaufnahme eingefangen, um die Stimmung anzuheizen.

Dass es um Macht und nichts sonst geht, macht das Finale überdeutlich. Gürbaca hebt diesen monomanischen Zug in ihrer Inszenierung immer wieder durch markante Zeichen in die Erinnerung der Zuschauer. Die Boten, die Macbeth zum Than von Cawdor ausrufen, bringen den Kopf seines hingerichteten Vorgängers gleich mit. Auf dem Stuhl des Macbeth wollen sie sitzen, alle. Selbst Fleance, der Sohn Bancos (Marcel Bergmann) – ihm verkünden die Hexen das Königtum nach Macbeth – huscht wie absichtslos drauf.

Geschichte ereignet sich als Fatum, und die Menschen leiden darunter, wie Macbeth, der sich von Anfang an nicht gegen den inneren Schmerz zu helfen weiß. Bedeutungsvoll spielt der zwielichtiger Diener (gruslig: Dietrich Greve) mit dem Dolch, und das Mordinstrument gerät wie absichtslos in die Hände Macbeth‘. Solche Momente gehören zu den starken Eindrücken in Gürbacas Arbeit.

Die weniger überzeugenden zeigen sich immer dann, wenn die Regisseurin allzu bemüht ist, auch noch jedem musikalischen Moment eine korrespondierende Aktion auf der Bühne zuzuordnen. In dem musikalisch so packend aufgebauten Finale des ersten Akts wird erst die Leiche König Duncans umhergezerrt. Und sobald Verdi einen Dreiertakt vorgibt, schwingt der soeben massakrierte Leibwächter Duncans mit der Kammerfrau das Tanzbein. Peinlicher kann die Szene kaum konterkariert werden.

Im Finale des zweiten Akts dann, beim Grillfest mit der Lady als koketter Würstelbraterin, erscheint statt Bancos Geist zunächst ein Schlafsack mit der blutroten Aufschrift seines Namens, über den sich die Gäste köstlich amüsieren; anschließend gibt es Luftballons und ein Tänzchen von Macbeth mit Bancos Leiche. Solche Szenen sind schlicht überinszeniert; stattdessen hätte Tatjana Gürbaca mehr szenische Detailarbeit an ihre Protagonisten und deren psychologische Glaubwürdigkeit verschwenden sollen – aber darum geht es in diesem Zeichentheater erst an zweiter Stelle.

Mit umso deutlicherem Feingefühl nuanciert dafür GMD Hermann Bäumer das tadellose Mainzer Staatsorchester. Während er in den Finali das Tempo stärker differenzieren und mit spannungsfördernder Agogik arbeiten dürfte, ist er in den Schlüsselszenen des Dramas hellwach: Jede Nuance sitzt. Jeder Solist gibt sein Bestes, um die fahlen, düsteren, klagenden Farben, aber auch die grell-falsche Heiterkeit, das unheimliche Pathos der Hexen, die leer gelaufene Angst und den irrlichternden Wahnsinn der Lady, schließlich die schmerzvolle Resignation des einsamen Mörder-Königs zu charakterisieren.

In diesen leisen, lauernden Pianissimo-Schattierungen, aber auch in den stockend zerrissenen melodischen Phrasen zeigt sich Bäumer als charismatischer Gestalter, der Verdis ausdrucksversessener Partitur nichts schuldig bleibt. Der Chor stellt sich dem Orchester an die Seite: Sebastian Hernandez-Laverny hat seine Sängerinnen und Sänger nicht nur auf Präzision getrimmt, sondern auf einen kontrollierten, voluminösen, aber nie überbordenden Klang, der im Klagechor des vierten Akts das Leid eines im Elend gestrandeten Volkes bewegend ausdrücken kann.

In Mainz wird überraschend sattelfest und expressiv gesungen. Heikki Kilpeläinen hat große Momente als Macbeth: bezwingende Bühnenpräsenz paart sich mit einer nicht gerade pastosen, aber klangreichen, gestaltungsfähigen, technisch sauber gebildeten Stimme. Sein Macbeth ist von Anfang an traumatisiert – ein Krieger, der mit dem Krieg nicht fertig geworden ist; ein Getriebener, den die Gewalt verfolgt, die er um sich, mehr aber noch in sich mit Entsetzen wahrnimmt. Thorsten Büttner macht als Macduff aus seiner exponierten Tenorarie „O figli miei“ eine Szene existenzieller Erschütterung, namenlosen Schmerzes. Wo andere schöne Kantilenen abliefern, durchdringt Büttner jede Phrase mit Ausdruck. Der Banco von José Gallisa erreicht dieses Niveau nicht. Sein Bass ist zwar voluminös und klangvoll, aber zu fahrig fokussiert; er „orgelt“, statt den Ton konzentriert zu bilden.

Mit Louise Hudson als Gast hat Mainz eine Lady Macbeth, die viel Erfahrung mit den heiklen Sopranpartien des frühen und mittleren Verdi mitbringt. Die australische Sängerin tritt häufig in Bratislava auf, sang dort bereits die Lady, außerdem Abigaille (Nabucco), Aida, Tosca und Turandot. Zu ihrem Repertoire gehören auch so anspruchsvolle Partien wie Odabella (Attila), Giselda (I Lombardi) oder die Elena aus den „Vespri Siciliani“, die sie ab Oktober in Brünn singen wird.

Hudsons Stimme wirkt zunächst eher schmal, ohne das klangliche Fundament eines echten Spinto-Soprans. Ihrem ersten Auftritt fehlt das Charisma des Bösen: Diese Lady zeigt eher einen sonnig-hellen Klang als die „tenebre“ der nächtlichen Heimtücke. Dass Hudson die technischen Hürden meistert, steht außer Zweifel – aber genau eine solche Schönklang-Stimme wollte Verdi für die Lady nicht haben. In „La luce langue“ überzeugt sie eher durch subtil gebildete Piani und Pianissimi als durch das zu brave Timbre.

Die glitzernde Falschheit von „Si colmi il calice“ liegt ihr dagegen glänzend. Auch das hohe es in der „gran scena del sonnambulismo“ erreicht Hudson sicher und vor allem einwandfrei geformt und drucklos. Aber das schwärzliche „sotto voce“, die trüben Pianissimo-Facetten bleiben zu harmlos: Der Gesang steigert sich nicht zur suggestiven Ausdrucksgeste. Es bleibt der Eindruck einer erfahrenen, sicheren Sängerin, die man gerne in einer ihrer anderen Partien wieder hören würde.

Ansprechend besetzt schließlich die kleineren Rollen: Patricia Roach als Kammerfrau, Agustín Sánchez Arellano als Malcolm und Dietrich Greve als Arzt, Diener, Mörder und Herold. Eine „Banda“, gebildet aus Schülerinnen und Schülern des Frauenlob-Gymnasiums Mainz, einstudiert von David Schmauch, begleitet den Einmarsch König Duncans und gibt der Mainzer Aufführung eine Farbe mit, die Verdi vorgesehen hat, die aber in den wenigsten Produktionen auch so sinnlich realisiert wird.

Quelle: www.der-neue-merker.eu


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