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WEIMAR: LOHENGRIN – “wir warten auf das große Wunder”. Premiere

07.09.2013

LOHENGRIN Premierenbericht vom 7.9.2013

Von: Alexander Hauer

“Wir warten auf das große Wunder In grellen Neonbuchstaben steht dieser Satz auf der Bühne und brennt sich in die Netzhaut. Davor lungern in einem Holzverschlag, Rainer Sellmaier zeichnet für die Ausstattung verantwortlich, Chor und Solisten auf Holzkisten herum und warten auf den Einsatz. Ein Junge sitzt auf einem Dreirad, und da wir alle wissen, dass wir im Lohengrin sind, wird es wohl der verschwundene Elsabruder sein. Eben dieser Junge öffnet eine Kiste, findet darin ein Schwert und ein Buch, beginnt darin zu lesen, bis er es von einem Erwachsenen abgenommen bekommt, der ihm daraus vorliest. In der Kiste sind auch altertümliche Kostüme und Uwe Schenker-Primus verwandelt sich in den Heerrufer. Er verteilt weiterhin die Kostüme und nach und nach haben sich alle Solisten in die Figuren der romantischen Oper verwandelt. Das war‘s aber dann auch mit Romantik.

Wenn man die Partitur nicht liest…

Tobias Kratzer versucht es mit der altbewährten Methode des Spiels im Spiel, aber hier geht es nicht auf. Zwar versucht er immer wieder Situationen zu brechen, zu banalisieren, das Werk und seine Darstellung der Lächerlichkeit preiszugeben, es bleibt doch dieselbe Geschichte, die wir zu gut kennen. Sein Versuch herauszuarbeiten, das das „Volk“ einen Helden braucht, sich diesen Helden aus sich selbst schafft und dann mit diesem Helden nicht zurechtkommt, da sich der Held als zu sperrig erweist, gelingt ihm nicht. Sein großer Held Lohengrin ist, genau wie seine Elsa, einer von uns, willkürlich erwählt vom Spielleiter Heerrufer. Die Gegenspieler Telramund und Ortrud gehören nicht dazu, sie unterscheiden sich von Anfang an. Telramund im Businessanzug, Ortrud im Schneiderkostüm, ständig mit einem Kruzifix(?) herumspielend, eine Betschwester kurz vor der Verzückung.

Nun denn, so kann man es machen. Auftritt Lohengrin, jetzt sind sie alle gefordert, Der Sänger wird kostümiert und der kleine Junge bekommt ein paar räudige Flügel angesteckt und darf jetzt den Schwan geben, wer hätte das gedacht. Und dann kommt es endlich zu Gottesgericht, ach nein, es kommt nicht dazu, denn Telramund entledigt sich seines Kostüms und verlässt den Kampfplatz, sich lautstark als Sieger skandierend, desgleichen der Schwanenritter, der sich die kampflose Partie ebenfalls als Sieg anrechnet. Auch der zweite Aufzug bleibt voller Rätsel, Ortrud und Telramund beschließen die Herrschaft an sich zu reißen, werden dabei von dem kleinen Jungen belauscht, der daraufhin von den beiden ermordet wird, und den Rest des Aktes in einer der vielen Holzkisten verbringen darf. Man führt die Braut zum Münster, nein, zu einem Kreideviereck auf der Bretterwand, Ortrud sprengt die Trauung, Auftritt Telramund und hier zeigen sich wieder ganz deutlich die Schwächen der Regie, die Zauberei die Telramund gegen Lohengrin anbringt fand im ersten Akt nicht statt, dieser Lohengrin kam nicht auf der Brotsuppe daher geschwommen, kein Schwanentier zog hier einen Nachen auf die Bühne, Lohengrin war immer Teil des Ganzen

…sollte man wenigstens das Libretto lesen

Gott sei Dank schwebt dann im dritten Aufzug die Brecht’sche Gardine ein, auf der in sauberer Schreibmaschinenschrift „Brautgemach“ steht, gut, dass wir es wissen, die Regie gibt nämlich eher den zweiten Akt der Fledermaus: „Ich seh, dass sich die Paare gefunden, dass manche Herzen in Liebe verbunden“ – zumindest wohnt der Chor in trauter Zweisamkeit der Brautnacht bei. Kein Wunder, dass Lohengrins Worte – Das süsse Lied verhallt, wir sind allein, zum erstenmal allein, seit wir uns sahn – zu kaum unterdrückten Gelächter im Zuschauerraum führte. Dann kommt die berühmte Frage und bei mir stellt sich die Frage „Was haben die beiden geraucht?“, denn kein Telramund mit seinem Kumpanen erstürmt das Brautzimmer und Lohengrin erschlägt auch niemanden, Telramund steht unbeteiligt am Bühnenrand und schaut zu. So kann auch kein Erschlagener vor den König getragen werden und so kann der gute Telramund auch weiterhin die Szene bevölkern. Trotz allem verlangt Wagner jetzt, dass Lohengrin seine Identität preisgibt und danach wieder per Schwan nach Hause fährt. Tobias Kratzer gewährt und da einen kleinen Ausblick auf das Jüngste Gericht, quasi als Beweis für seine Identität wird die Leiche des Jungen aus der Kiste geholt und wir erleben die Auferstehung der Toten, ok, eines Toten. Aber nicht nur der Knabe, auch der Stumpf der Gerichtseiche, der so poetisch am „Ufer der Schelde“ war, bekommt neues Leben, wenn auch nur durch eine Videoprojektion. Am Ende gehen alle nach hinten ab, der Schwan bleibt auf der Bühne und flattert mit den Flügeln.

Der krasse Gegensatz

Auf der musikalischen Seite sah es ganz anders aus. Der verstärkte Hauschor brillierte in reinem Wohlklang, Stefan Solyom führte das Orchester sicher durch die Partitur, unaufgeregt, stets den Stimmen dienend, ohne dabei sich selbst zu verlieren. Satte Streicherklänge und wohlklingendes Holz bereiteten einen weichen Teppich für die Sänger. Heiko Börner, der die Titelpartie sang, teilte sich seine Kraft gut ein, um in der Graserzählung zu glänzen kochte er die ersten beiden Akte scheinbar auf halber Flamme und fiel gegen die beiden Baritöne des Hauses ab. Uwe Schenker-Primus, ein kerniger Heerrufer, voller Kraft sang seine Partie voller Souveränität. Bjørn Waags Telramund war eher von hellerer feingliedriger Stimmführung, die der Rollengestaltung durchaus zuträglich war. Daeyoung Kims Bass war mir persönlich zu verhalten, zu sanft für den König. Johanni von Ostrums Elsa überzeugte über weite Strecken durch schönen, warmen Klang, der durchaus jungmädchenhafte Töne zuließ. Es wird der Premiere geschuldet sein, dass sie die Kraft im dritten Akt etwas verließ. Andrea Baker überzeugte mit ihrer Ortrudinterpretation am meisten. Exzessiv, aber bei fast erschreckend deutlicher Diktion, steigert sie ihren Mezzo auch in schwierige Lagen und meistert sie.

Das große Wunder kam nicht

Der Versuch, das Werk aus sich selbst zu erklären, den Wunsch nach einer Führungspersönlichkeit zu gestalten und dann das Scheitern eben dieses Idols zu erklären gelang Kratzer nicht. Weder er, noch sein Ausstatter Sellmaier konnten erklären, warum auf das große Wunder gewartet wird, warum die gefällte Gerichtseiche am Ende wieder ergrünt. Sie blieben auch die Antwort auf die Frage des Wunders an sich, noch warum man ein Wunder in der heutigen Zeit braucht, schuldig. Bei einer eher schwachen Personenregie, helfen auch historisierende Kostüme nicht mehr weiter, das Wunder von Weimar ist eher im Orchester, dem Chor und den Solisten zu finden, die sich in dieser unausgegorenen Stückinterpretation wund spielen.

Quelle: www.der-neue-merker.eu


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