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WIEN / Theater an der Wien: EDITA GRUBEROVA – DREI KÖNIGINNEN

20.09.2013

WIEN / Theater an der Wien: EDITA GRUBEROVA – DREI KÖNIGINNEN 20. September 2013

Von: Renate Wagner

Kleiner historischer Nachhilfeunterricht zur englischen Geschichte, in der sich Donizettis Librettisten umtaten? Die drei Damen, die er zu so phänomenalen dramatischen Koloraturdiven verwandelt hat, sind nämlich historisch und alle miteinander verwandt.

Zuerst Anna Bolena – die eigentlich Anne Boleyn hieß. Sie war die zweite Gattin von König Heinrich VIII., und ihretwegen ist England heute angelikanisch. Denn der König konnte seine Begierde, die reizvolle Dame zu heiraten, nicht zügeln – und der Papst hätte seine Ehe mit der Tante von Kaiser Karl V. (immerhin!) nie geschieden… So leidenschaftlich Heinrich auch war, so schnell gelangweilt doch auch: Da beschuldigt man die einst so begehrte, dann lästige Gattin doch des Ehebruchs und schickt ihr den Henker. Für Donizetti eine leidenschaftliche Story mit grandioser Schlussszene.

Dame Nr. 2 ist „Elisabetta“, eigentlich Elizabeth I., Anne Boleyns Tochter, die unter so unglücklichen Auspizien aufwuchs. Drei andere standen nach dem Tod ihres Vaters zwischen ihr und dem Thron, starben allerdings rechtzeitig, um ihr die Möglichkeit zu geben, Englands bedeutendster Herrscher zu werden. Politisch machte sie fast alles richtig, ihr Privatleben war eine notorische Katastrophe: Donziettis Oper heißt zwar „Roberto Devereux“ nach einem ihrer zahlreichen Liebhaber, aber sie könnte genau so gut oder besser „Elisabetta“ heißen. Wenn die Heldin selbst diesmal nicht tot ist, so blickt sie doch dem Geliebten, der sie betrogen hat, ins Grab nach – tragisch und dramatisch genug, wenn sie in ihrer Einsamkeit zurückbleibt…

Elizabeths größte Rivalin war „Maria Stuarda“, die Schottenkönigin Maria Stuart, die nicht nur drei Gatten und einen Sohn hatte (wozu es Elizabeth nie brachte), sondern von ihrer Herkunft her auch ein Anrecht auf den englischen Thron – jedenfalls in den Augen der Katholiken. Elizabeth I., die wusste, dass ein Herrscher nicht zimperlich sein darf, ließ die Cousine glatt hinrichten. Noch eine Szene des In-den-Tod-Gehens am Ende, die aber noch mehr von Edelmut als von Dramatik getragen ist: Auf dem Weg zum Henkersbeil verzeiht Maria ihrer Rivalin…

Drei Königinnen, drei der größten Virtuosenrollen des Belcanto. Alle drei an einem Abend geboten – vor dem Theater an der Wien drängte sich das Publikum in Massen. Genügend Fans, die sich nicht entgehen lassen wollten, wie Edita Gruberova ihre Paradepartien singt, füllten das Haus. Dass es etwas schmucklos war, im Hintergrund das Zimmer von „Rake’s Progress“, etwas abgedeckt, stehen zu lassen, störte niemanden, saß doch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien in großer Besetzung davor.

Ungewöhnlich: An der Decke schwebte ein riesiger Bildschirm, wie man ihn von Pop-Konzerten kennt. So hallen-groß ist das Theater an der Wien ja nicht, dass man das „Original“ auf der Bühne noch im Abbild zeigen müsste. Allerdings verfügt man auf diese Art über einen geschickt gemachten Konzertmitschnitt, der vermutlich früher oder später im Fernsehen und dann auf DVD landet…

Drei Opern, drei Ouvertüren und im Grunde vor allem die großen Schlussszenen mit noch ein paar kürzeren Passagen davor. Dazu waren immerhin vier Sänger aufgeboten, aber außer dem rumänischen Tenor Ioan Hotea, der kurz und kraftvoll aufsang, hatte niemand etwas zu vermelden, Ann-Beth Solvang, Zoltan Nagy, Ben Connor blieben Staffage. Am ehesten wirkte neben dem Star noch das Orchester unter Peter Valentovic: Man musizierte mit Temperament, Leidenschaft und evidenten Begleiter-Qualitäten.

Edita Gruberova hatte die drei Opern in der Reihenfolge „umgedreht“, nach den Effekten gereiht. Die „Maria Stuarda“ vor der Pause war noch ein wenig zum Einsingen gedacht. Bei der Elisabetta war sie voll da, und die Anna Bolena hat man ja – von der Netrebko auf der Bühne und von der Gruberova selbst im Musikverein – noch im Ohr: eine Schlussszene, wie es in der Oper wenige gibt, zart von Wahnsinn durchwirkt, dabei von effektvollster Dramatik und Tragik.

Man kennt die Qualitäten der Gruberova als dramatische „Königin“ des Belcanto-Repertoires – die Raffinesse ihrer Gestaltungen, die sie alle im kleinen Finger hat (als einzige sang sie alle Rollen auswendig), die nach wie vor stupende Technik. Die Stimme freilich hat sich nicht in voller Frische gehalten (wie auch? Die Natur kann man nicht austricksen), und wenn – wie gesagt – Gestaltung und Technik noch immer für ihre Triumphe sorgen, so ist doch der frühere Wohlklang nur noch partiell (vor allem in den Piano-Passagen) vorhanden. Ihre Fortissimo-Ausbrüche gehen heute messerscharf durch Mark und Bein. Aber was soll’s – die drei Königinnen leiden und sterben. Das muss nicht, soll wahrscheinlich nicht unbedingt „schön“ klingen. Andererseits singt die Gruberova gegen die schärfste Rivalin, die es gibt – gegen die Erinnerung des Publikums an ihre Vollkommenheit, also gegen sich selbst, die sie einst war.

Ihren Anbetern von heute ist sie noch Phänomen, Realität und Wunder genug: Der Abend brodelte im Zuschauerraum von Anfang an vor Begeisterung, am Ende tobte das Haus in Standing Ovations, und irgendwann musste man aufhören, die Blumensträuße zu zählen, die der „Königin“ in die Arme gedrückt wurden…

Quelle: www.der-neue-meker.eu


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