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WIEN / Theater an der Wien: THE RAKE´S PROGRESS

16.09.2013

WIEN / Theater an der Wien: THE RAKE´S PROGRESS von Igor Strawinski Premiere: 16. September 2013

Es sollte ja nur ein Appetithappen werden – Strawinskis Klassiker über einen Wüstling als Vorbereitung für die Uraufführung von „A Harlot´s Progress“ des britischen Komponisten Iain Bell, der – wie einst Strawinski mit Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman – einen durchaus kompetenten Autor (Peter Ackroyd) als Librettisten gewählt hat, um eine Parallelgeschichte (in Opernform) nach der zugrunde liegenden, legendären Bilderfolge von William Hogarth zu schaffen. Bell, der für Diana Damrau schon einige Lieder geschaffen hat, wird den Star auch gut bedienen, wenn sie am 13. Oktober dann bei der Uraufführung dieses Auftragswerks des Theaters an der Wien als Moll Hackabout auf der Bühne stehen wird. Der Teufel wird zwar nicht vorkommen, aber der Anschluss an Strawinskis Werk ist gegeben.

Also hat Roland Geyer erst einmal die Produktion von „The Rake´s Progress“ aus dem Jahre 2008 neu einstudiert aufs Programm gesetzt: Es gibt zwar einen Namen für die Einstudierung (Herbert Stöger), aber am Ende verbeugte sich Regisseur Martin Kušej selbst und nahm den freundlichen, wenn auch nicht enthusiastischen Applaus entgegen. Denn – was einst frisch gekocht absolut in Ordnung war, hat sich aufgewärmt als nicht sehr schmackhaft erwiesen.

Damals, vor fünf Jahren, stand man vor einer der Inszenierungen, die zwar vom Original gänzlich abweicht – aber die „Übersetzung“ in eine neue Welt, in ein gänzlich anderes Milieu war zumindest so konsequent durchgezogen, dass man es für gelungen erachten konnte. Damals übrigens – wie schnell die Zeit vergeht und wie schnell die Dinge sich ändern! – hatte Roland Geyer „wegen einer expliziten Freudenhausszene (…) auf Empfehlung einer Schulpsychologin den Besuch der Aufführungen erst ab 18 Jahren erlaubt“. Diesmal heißt es lapidar: „Aufgrund von Nacktszenen wird der Zutritt Personen erst ab 16 Jahren empfohlen.“ Na ja, es ist doch ziemlich Hard Porno, was da abgeht. Kein Wunder, dass der Chor hier aus den Logen singen darf und eine Statisterie, die offenbar zu allem bereit ist, ihr meist schlaffes Fleisch schonungslos ausstellt und sich in Aktionen ergeht, die gut und gern echt sein könnten. Egal – es schockt ohnedies niemanden. Und damit ist auch der Zweck verfehlt…

Was hat Martin Kušej also auf die Bühne gestellt? Damals, 2008, handelte es sich um eine Koproduktion mit Zürich. Diesmal steht die Aufführung für sich allein und man hat nur Minimales geändert (die Hochzeit von Tom Rakewell und Baba the Turk wird im Fernsehen nicht mehr von Dominic Heinzl – wer war das nur? – verkündet, sondern von einem Magazin in RTL). Da fragt man sich natürlich schon, warum das auf eine ziemlich einheitliche Zimmerdekoration zusammengeschmolzene Bühnenbild von Annette Murschetz wirklich nur die Mitte einnimmt und den ganzen Rest des Bühnenraums, der mindestens doppelt so groß ist, vernachlässigt. Ein kleines „Guckkasten“-Stück ist „The Rake´s Progress“ ja nun wirklich nicht. Und wenn man das alles nicht zum ersten Mal sieht, sondern schon kennt, dann merkt man, wie flach und letztlich nicht sonderlich einfallsreich die Geschichte in diesem reizlosen Ambiente abläuft. Es ist nur einmal lustig, dass der Teufel aus der Pizza-Schachtel kommt, dass die Penisse geschwungen werden, dass Baba the Turk zur hysterischen Society-Dame wird, dass man im Friedhofs-Akt (natürlich wieder ein Zimmer) gänzlich eingeräuchert wird und dass der Epilog, den Strawinski geradezu „Don Giovanni“-gleich gehalten hat, im Orchestergraben gesungen wird, weil die Protagonisten am Fernsehschirm dasitzen wie bei Barbara Karlich. Ohne den Reiz des Neuen ist das… nicht viel.

Eine glänzende Besetzung, teilweise neu, tat mehr für den Abend als die Inszenierung, die nicht verlustlos von „Wien 2008“ auf „Wien 2013“ umbenannt wurde. Warum übrigens „Wien“? Nichts daran ist spezifisch, außer die Szenen im Fernsehen, und da würde man Jörg Haider, der Kušej damals (Haider war einen Monat vor der Premiere gestorben) wichtig war, auch nicht mehr im Fernsehen sehen… Übrigens – Frage an Radio Eriwan: Gibt es einen Theaterabend ohne Video? Antwort: Im Prinzip ja, in der Realität nein. Es wird auch das Geschehen mitgefilmt und über TV-Schirm übertragen. Aber so lästig und penetrant wie bei Castorf in Bayreuth ist es wenigstens nicht. Ist das ein Trost?

Die Sänger also retteten, was zu retten war: Toby Spence, wie vor fünf Jahren als „Trainspotting“- Ewan McGregor hergerichtet (mittlerweile kennt vermutlich auch diesen Film niemand mehr), hat zweifellos seine Stimme wiedergefunden: ein fabelhafter Tenor auf der Höhe seiner Aufgabe, dazu ein Darsteller, der wirklich auf jungenhaft jung geschminkt und hergerichtet worden ist (Kostüme Su Sigmund) und den Weg vom kiffenden Tunichtgut zum Verrückten in vielen überzeugenden Stationen menschlicher Nutzlosigkeit zurücklegt.

Auch von der Premiere her dabei und der Höhepunkt des Abends: Anne Sofie von Otter als die Türken-Baba-Seitenblicke-Verrückte, ein Temperamentsbündel, zu jedem Exzess und jeder Exzentrik fähig und willig, eine wahre Persönlichkeitsbombe, die immer explodiert, wenn sie auf der Bühne steht.

Auch von Anfang an waren Manfred Hemm als Truelove, sonor, Carole Wilson als Mother Goose, busenfrei, und Gerhard Siegel als Sellem, sehr schrill, dabei.

Zwei wichtige Neubesetzungen entsprachen in hohem Maße: Bo Skovhus war in Erscheinung (groß, schlank, Pferdeschwanz und so fies, dass man meinte, ein Pferdehuf zu sehen) ein idealer, bösartiger, falscher „Nick Shadow“ direkt aus der Hölle, der nur stimmlich etwas reduziert schien – sein Bariton ist doch recht flach und trocken geworden. Aber die Figur stimmte.

Anna Prohaska folgte als Anne Truelove der schönen Adraiana Kuverová nach (was ist nur aus dieser geworden? Man hätte doch damals auf eine Riesenkarriere geschworen!): Schön gespielt, wirklich schön gesungen, treu die Regie ausgeführt, also am Ende keinesfalls die untröstliche Liebende, sondern eine Frau, die sich angesichts eines verrückten Ex-Geliebten umdreht und geht. Nicht so gemeint, aber bitte.

Da der Arnold Schoenberg Chor (geleitet von Erwin Ortner) ja nicht dafür verpflichtet werden kann, sich auf der Bühne pornographisch zu winden, singen sie meist von den Logen aus, nur in der Versteigerungs-Szene dürfen sie zeigen, dass sie singen und heftig spielen zugleich können (wenn man nicht verlangt, dass sie gleich sämtliche Hüllen fallen lassen).

Der Orchestergraben war neu gefüllt – nicht mehr die Symphoniker unter Harnoncourt. Diesmal war das ORF Radio-Symphonieorchester Wien an der Reihe, am Dirigentenpult stand Michael Boder, und es war wirklich bemerkenswert, wie diese äußerst raffinierte Partitur (diese Raffinesse speist sich vor allem aus der Vielschichtigkeit der stilistischen Zitate, die Strawinski einarbeitete) stimmig realisiert wurde.

Man kann nicht sagen, dass das Publikum vor Begeisterung von den Sitzen sprang, dazu war auch kein Anlass. Aber man klatschte brav, und ein einzelner Buh-Ruf für Kušej (vermutlich vom einzigen Menschen im Haus, der die Inszenierung noch nicht kannte) fiel so schüchtern aus, dass ihn wohl nur die Umstehenden hörten. Jetzt wartet man wirklich auf „frische“ Ware mit dem Untergang einer Hure im Mittelpunkt…

Renate Wagner

www.der-neue-merker.eu


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